Geprüft, aber nicht sicher!

Unter dem Thema „Geprüft, aber nicht sicher? Medizinprodukte in Deutschland“ befasste sich die Phoenix Runde am 08.02.2012 mit der Sicherheit von Medizinprodukten in Deutschland. Anlass waren die Fälle der Durom-Hüftprothesen der Firma Zimmer Biomet und die PIP Brustimplantate. Beide Produkte wurden allein in Deutschland zahlreichen Patientinnen und Patienten implantiert, ohne dass die Behörden auf sich mehrende Alarmzeichen reagiert hätten. Der Hersteller Brustimplantate, die Firma Poly Implant Prothèse, hatte in betrügerischer Absicht das ursprünglich verwendete hochwertige Silikon durch billiges Industriesilikon ausgetauscht. Auch hier wurde weder durch das Zulassungsverfahren noch die Marktüberwachung die Gefährlichkeit des Produkts festgestellt. Die Firma Zimmer Biomet hatte die vorliegenden Warnungen über Metallabrieb ihres Prothesenmodells ignoriert und die Prothese dennoch in Verkehr gebracht.

Nach Auffassung der Durom-Selbsthilfegruppe zeigen die Erfahrungen mit den Brustimplantaten und den Hüftprothesen zweierlei:

  1. Hersteller von Medizinprodukten können nach der Zulassung diese beliebig oft und unkontrolliert verändern.
  2. Eine effektive Überwachung von Medizinprodukten nach Markteinführung scheitert in Deutschland an ungeklärten Zuständigkeiten und fehlendem Verantwortungsbewusstsein bei den Behörden der Ländern, die für die die Patientensicherheit zuständig sind.

Zu 1.)

Die Firma Zimmer hat die Länge des Schaftkonus ihrer Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese von 15 mm auf 13 mm reduziert. Die Firma Poly Implant Prothèse hat bei den PIP Brustimplantaten hochwertiges Silikon durch billiges Industriesilikon ausgetauscht. Nur zwei Beispiele, die nicht nur nicht entdeckt wurden, sondern auch problemlos möglich waren. Dies sind keine Einzelfälle.

zu 2.)

Patientensicherheit in Deutschland ist Aufgabe der Länder. Also gibt es in Deutschland 16 unterschiedliche Strukturen und Organisationen auf Länderebene. Im Zweifelsfall werden Verantwortung und Zuständigkeiten hin und her geschoben bis betroffene entkräftet aufgeben. Effektiver Patientenschutz kann so nicht funktionieren.

Erfahrungen der SHG

Geprüft wird nicht einmal, wenn die zuständige Landesbehörde auf ein fehlerhaftes Medizinprodukt aufmerksam gemacht wird und eine Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Produkt vom Markt zu nehmen, vorliegt wie im Fall der Durom-Metasul-LDH- Hüftprothesen. Das zuständige Regierungspräsidium Freiburg weigerte sich, trotz Empfehlung der zuständigen Bundesbehörde BfArM, der Empfehlung zu entsprechen. Ulrike Flach, damals Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, sagte in der ARD Sendung Monitor vom 29.03.2012, dass 99,9% der zuständigen Landesbehörden einer Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte entsprechen. Das Regierungspräsidium Freiburg und Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer gehören damit zu der Minderheit von 0,01%, die es besser zu wissen zu glauben als das BfArM.

Teilnehmende an der „Phoenix-Runde“ waren:

  • Ulrike Flach (FDP), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit,
  • Rechtsanwalt Jörg Heynemann, Fachanwalt für Medizinrecht,
  • Prof. Jürgen Windeler, Leiter des Arzneimittelprüfungsinstitut IQWIG,
  • Joachim M. Schmitt, Geschäftsführer Bundesverband Medizintechnologie

Joachim Schmitt führte in der Sendung mehrfach aus, dass für Medizinprodukte der Risikoklasse III, also sogenannte Hochrisikoprodukte wie Implantate, klinische Prüfungen durchgeführt werden müssen. Prüfstellen bzw. Zulassungsstellen, die sogenannten Benannten Stellen, würden Medizinprodukte vor Marktzulassung prüfen und dann das CD-Kennzeichen vergeben, mit dem das Produkt im europäischen Markt vertrieben werden dürfe. Die Benannten Stellen seien zwar privatrechtliche Organisationen, die jedoch behördlich überwacht würden durch die ZLG, der Zentralstelle der Länder für Gesundheit. Die ZLG würde auch die Produkte das prüfen und Risikoanalysen durchführen. Dadurch habe der Patient eine hochprozentige Garantie, dass das Medizinprodukt nicht fehlerhaft ist.

Der Fall der PIP Brustimplantate ist nach Schmitt ein Sonderfall, weil es sich hier um einen Betrugsfall handele. Man habe hier mit hoher krimineller Energie versucht, die Aufsichtsorgane, die Prüfstellen zu täuschen. Erschreckend sei zugegebenermaßen der lange Zeitraum, während dem den Patientinnen das billige Industriesilikon unentdeckt weiter implantiert werden konnte. Hier müsse man schauen, was man tun könne, denn Patientenschutz und Patientenwohl blieben nach wie vor oberste Priorität. Schmitt ist der Auffassung, dass das, was im deutschen Medizinproduktegesetz stehe, vollkommen ausreiche , um sichere Medizinprodukte herstellen zu können.

Lobbyarbeit

Joachim M. Schmitt ist Geschäftsführer des Bundesverbands Medizintechnologie und wird für solche Aussagen bezahlt. Teilweise geben sie den Anspruch der seinen Behauptungen zugrunde liegenden Gesetzte, Bestimmungen und Verordnungen korrekt wider. Falsch ist, dass die Benannten Stellen Risikoanalysen durchführen würden. Geprüft wird die technische Sicherheit des Produkts, nicht jedoch dessen medizinisch-klinische Sicherheit für den Patienten. Deshalb haben Gerichte in Deutschland auch Klagen gegen die zulassende Benannte Stelle mit der Begründung abgelehnt, eine medizinisch-klinische Prüfung sei nicht in ihrem Aufgaben- und Prüfkatalog für die Zulassung von Medizinprodukten enthalten. Außerdem verfüge sie nicht über das erforderliche Fachpersonal für eine solche Prüfung.

Die übrigen Aussagen von Schmitt finden ihre Entsprechung in den genannten Gesetzen und Verordnungen. Theoretisch ist also alles gut. Doch der Wurm ist wie so oft in der Praxis, also bei den der Anwendung und Durchsetzung der Gesetze und Verordnungen zu finden. Und auf den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit geht Schmitt mit keinem Wort ein. Er erzählt von der Insel der Glückseligen im Land der praxisfernen Theorie. So werden die von Schmitt erwähnten klinischen Tests bei Implantaten von den Herstellern vermieden. Denn sie sind teuer und aufwändig und können die Markteinführung nicht unerheblich verzögern.  Ihr oft genutztes Hintertürchen sind sogenannte vergleichbare Produkte, für die bereits klinische Tests durchgeführt wurden. Ob diese Vergleichbarkeit der Produkte wie vom Hersteller behauptet tatsächlich vorliegen und ob die Produkte überhaupt vergleichbar sind, wird nicht überprüft.

Das BfArM schreibt auf seiner Homepage:

Eine klinische Prüfung wird an freiwilligen Probanden vorgenommen, um Daten zu den Aspekte der Sicherheit und/oder Leistungsfähigkeit eines Medizinproduktes zu erheben, die sich nur in der klinischen Praxis überprüfen lassen. Eine solche Prüfung ist erforderlich, wenn klinische Daten aus der Literatur, aus klinischer Erfahrung oder aus bisher durchgeführten klinischen Prüfungen nicht ausreichen.

(siehe auch: BfArM – Medizinprodukte)

Professor Jürgen Windeler (IQWIG) weist darauf hin, dass die Überprüfung bei Medizinprodukten nicht wie bei Medikamenten durch eine staatliche Stelle erfolgt, sondern durch gewinnorientierte und privatwirtschaftliche Organisationen, und das europaweit, die von den Herstellern, die sie kontrollieren sollen, beauftragt und bezahlt werden. Da lässt sich der Prüfling von einem Prüfer prüfen, den er bezahlt, und wenn ihm das Ergebnis nicht gefällt, er einfach einen anderen beauftragen kann. Da der Prüfer von der Bezahlung des Prüflings abhängig ist, wird das Ergebnis in der Regel stets zur Zufriedenheit des zu Prüfenden ausfallen.

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