Persönliche Operationsgedanken
Mein neues Hüftgelenk – oder eine Zwiesprache
Im Herbst erhielt ich ein Geschenk.
Es war ein neues Hüftgelenk.
Das alte hat mich sehr geplagt,
es war ganz neu, doch wie man sagt,
von Anfang an schon sehr defekt.
Man hat das erst sehr spät entdeckt.
So kam, vom Auto kennt man’s schon,
die große Rückruf-Aktion.
Und wieder ging‘s ins Krankenhaus.
Muss das Gelenk nun wieder raus?
Bekomme ich ne andre TEP?
Bin ich nun wiederum der Depp?
Weil ich seit Jahren Schmerz erlitten,
hat man mich wieder aufgeschnitten,
hat reingeschaut und hat gesehn,
da drinnen ist es wenig schön.
Entzündet war das ganze Fleisch
und auch der Knochen war schon weich.
Von innen wurde ich entkernt,
die Hüftprothese schnell entfernt
und ausgetauscht durch ein Modell,
das besser sei. Eventuell.
Ruck zuck, den Schenkel zugenäht
und ab ins Krankenzimmer-Bett.
Mir gegenüber an der Wand,
gleich rechts von meinem Kleiderschrank,
war einer, dem es schlechter ging.
Es war der Christus, der da hing.
Voll Mitgefühl sah ich ihn an,
sprach zu ihm: „Bruder, welch ein Wahn,
dich haben sie gleich aufgehängt,
bei mir war‘s nur das Hüftgelenk.
Viel Schmerzen hab auch ich ertragen,
fast so wie du, ganz ohne Klagen.
Jetzt sind wir hier in einem Zimmer,
ich nur ganz kurz, doch du für immer?
Zehn Tage will ich mit dir leiden,
dann bin ich weg. Und du musst bleiben.
Für ewig in das Krankenhaus
bist du verbannt, ich kann hier raus.“
Da sah er mich sehr traurig an
und sprach: „so hänge ich Jahrtausend lang,
der Welt zu zeigen meine Schmerzen.
Gewiss, sie kommen aus dem Herzen.
Was aber niemand hat verstanden:
Ich bin doch damals auferstanden!
Erlöst von Schmerz und strahlend schön.
So sollten mich die Menschen sehn.
Kannst du, wenn du mal draußen bist,
verändern diesen ganzen Mist,
der über mich verbreitet wird,
ein Leben lang, bis jeder stirbt?“
„Ach Bruder, du verlangst sehr viel,
dies ist ein abgekartet Spiel
von Kirchenvätern ausgedacht.
Denn diesen geht es um die Macht.
Die Angst, die diese stets verbreiten,
lässt uns als Lämmer leichter leiten.
Und lügen tun sie wie noch nie.
Das soll ich ändern? Sag mir wie?“
Da sprach er: „Bruder, hör mich an,
auch ich war nur ein einz’ger Mann.
Und dennoch hab ich viel bewegt,
den Samen überall gelegt.
Was ich dir damit sagen will,
allein durch Tun erreichst du viel.
Mehr will ich nicht von dir verlangen.
Habe ja selbst so angefangen.“
Gewiss, mein Bruder, ich will‘s wagen.
Werd sicher nicht ans Kreuz geschlagen
so wie du. Für dich war’s wichtig.
Ich bin da lieber vorsichtig.“
„So geh in Frieden, sei es drum.
Ich hänge hier noch etwas rum
als ein Symbol für Gottes Sohn.
Siehst du, das hab ich jetzt davon.“
So kam ich durch mein Hüftgelenk
Zu einem seltenen Geschenk.
Hab mich mit Gottes Sohn getroffen,
hab jeden Tag mit ihm gesprochen.
Wir haben heftig diskutiert,
wir waren lustig und berührt
und haben beide festgestellt,
wir zwei sind nicht von dieser Welt.
Sitiananda 2/2010
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