Profit vor Patientenschutz

Profit geht bei Medizinprodukteherstellern vor Patientenschutz. Unter dem Titel „Metallspäne im Blut: Profit mit mangelhaften Hüftimplantaten“ berichtet Stefan Buchen im ARD Politmagazin „Panorama“ über den unglaublichen Fall von Interessenverquickung und Mauscheleien von Behörden und der Firma DePuy, dem Hersteller der inzwischen vom Markt genommen ASR-Hüftprothese. Es geht um das ASR-Hüftprothesenmodell, welches weltweit zehntausendfach in Patienten implantiert wurde. Allein in Deutschland über 5.500 mal. Zurück gerufen und vom Markt genommen wurde es von DePuy 2010. Doch die verantwortlichen von DePuy wussten bereits seit 2007, dass das Prothesenmodell nicht funktioniert und Metallosen, nekrotisches Gewebe und große Schmerzen verursacht.

DePuy wusste schon lange Bescheid

Bei ihren Recherchen stießen Redakteure des ARD-Politmagazins „Panorama“ und der „ZEIT“auf interne Firmen E-Mails hochrangiger DePuy-Mitarbeiter aus den Jahren 2005 bis 2008. Manager von DePuy berichten darin, dass die „Versagensquote“ der Prothese zu hoch sei. „Panorama“ schreibt dazu auf seiner Homepage zur Sendung:

„Aus Australien meldet eine Mitarbeiterin bereits 2005 „einen Anstieg“ der Revisions-OPs. Orthopädische Chirurgen aus aller Welt berichten dem Hersteller im Laufe des Jahres 2006 von Komplikationen wie „lockere Hüftpfannen“, „Schmerzen“ und „erhöhte Metallwerte“. Ein führender Fachmediziner aus den Niederlanden erklärt im Sommer 2006 gegenüber DePuy, dass er die ASR-Hüften nicht mehr einsetzen werde, weil er mit Komplikationen konfrontiert sei, die er sich „nicht erklären“ könne.

Bedenken „im Keim ersticken“

Die besorgten Berichte aus aller Welt zur ASR-Hüftprothese hätte nach den geltenden Gesetzen dazu führen müssen, dass DePuy bis zur Klärung des Sachverhalts sofort einen Verwendungsstopp für die Prothese verfügt und sich auf intensive Ursachenforschung begibt. Doch DePuy fordert die Autoren der kritischen Rückmeldungen auf, solche Bedenken „im Keim zu ersticken„.

Koen De Smet, ein belgischer Arzt, der einen Beratervertrag mit DePuy hatte,  berichtet im Panorama-Interview, dass er gleich nach der Markteinführung des ASR-Prothesenmodells einen Konstruktionsfehler festgestellt habe, der erhöhten Metallabrieb verursacht. 2007 habe er DePuy deshalb empfohlen, die Prothese vom Markt zu nehmen oder das Design zu ändern. Als DePuy beides verweigerte, kündigte Koen De Smet seinen Beratervertrag mit DePuy.

Der belgische Orthopäde Koen De Smet © NDR

Der belgische Orthopäde Koen De Smet © NDR

Wirtschaftliche Interessen vor Patientensicherheit

Dass DePuy die Vermeidung eines finanzielle Schadens wichtiger ist als die gesundheitliche Unversehrtheit der Patienten geht aus der firmeninternen Kommunikation von DePuy hervor, die Panorama wohl vorliegt. Demnach wurden die Kosten einer Designänderung durchgerechnet, im November 2008 jedoch festgestellt, dass dies für die DePuy Prothese zu teuer würde. Die fehlerhafte Prothese wurde somit noch fast zwei Jahre weiter verkauft und in Patienten implantiert. Erst nachdem sich die ASR-Prothese wohl „armotisiert“ hatte  wurde sie im August 2010 „freiwillig“ und aus „betriebswirtschaftlichen Gründen“ vom Markt genommen.

Unfähige Kontrollbehörden, desinteressierte Justiz

Treten bei Medizinprodukten Probleme auf, müssen diese dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn gemeldet werden. Dieses sammelt relevante Unterlage und spricht gegenüber der eigentlich für den Patientenschutz zuständigen Landesbehörde eine Handlungsempfehlung aus. Das für den DePuy Fall zuständige „Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz“  ließ sich jedoch nach den Recherchen von „Panorama“ und „ZEIT“ von den DePuy-Managern „aufklären“, ohne eine zweite, unabhängige Meinung einzuholen. Die Aufseher bescheinigten DePuy im März 2009 dann eine Versagensrate in Deutschland von 1,4 Prozent, also vergleichbar mit Prothesenmodellen anderer Herstellern, obwohl damals bereits wesentlich höhere Versagensquoten bekannt waren. Der Freibrief des „Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz“ war dann auch Grundlage für die Zurückweisung von Klagen betroffener Patienten gegen DePuy Manager wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Die Gerichte beriefen sich auf die Aussagen des „Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz“. Wie schön, wenn sich Spendengelder am Ende rechnen. 2017 erhielt die Universität des Saarlandes, Wissenschaftliche Veranstaltung Minimalinvasive Zugänge und Komplikationsmanagement in der Wirbelsäulenchirurgie, Fachrichtung Chirurgie von DePuy Synthes eine Spende in Höhe von 3.000,00 €.

Kommentar

Es ist empörend: aus Gewinnsucht wird das Leben vieler Menschen auf den Kopf gestellt, unglaubliches Leiden verursacht und Optimismus und Lebensfreude der Betroffenen zerstört. Und die zuständige Kontrollbehörde im Saarland lässt sich vom Hersteller für dumm verkaufen und am Nasenring durch die Manege ziehen. Warum wird in der Behörde nicht getan, wofür sie vom Steuerzahler bezahlt wird? Nun, wir wissen es nicht: vielleicht sind kleine Geschenke der Hersteller attraktiver als ihr Gehalt? Oder sie sind einfach unfähig und sehen nicht, dass die Informationen des Herstellers ausschließlich den Firmeninteressen dient? Oder es hat Ihnen niemand erklärt was ihre Aufgabe ist als „Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz“ des Saarlandes, das für die Überwachung der DePuy-Produkte zuständig ist. Und die Landesregierung rechtfertigt die Unfähigkeit des Landesamtes damit, dass „korrektive Maßnahmen“ zunächst Aufgabe der Firma seien. Wozu braucht es dann das „Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz“?

Denn dessen Pflicht und Aufgabe wäre es gewesen, nach Bekanntwerden der Probleme mit dem ASR Prothesenmodell von DePuy im Jahr 2007/2007 SOFORT die Unversehrtheit der Menschen bewahren. Und nicht zuzuwarten, bis sich die ASR-Prothese für DePuy dann 20010 gerechnet hatte, und sie deshalb bis 2010 lustig weiter in Patienten implantiert wurde. Das „Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz“ hätte die weitere Verwendung der ASR Prothese unterbinden können, ja müssen. Ohne Not haben sie aus Dummheit, Bequemlichkeit oder Eigeninteressen zugelassen, dass DePuy mit dem weiteren Vertrieb der ASR-Hüftprothese gegen Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetztes der Bundesrepublik Deutschland verstößt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Die saarländischen Manager von DePuy,  der Operateur, der die Prothesen implantierte, das Krankenhaus – sie alle gehören bestraft. Doch der Gipfel der Ungerechtigkeit: das Landgericht Saarbrücken nimmt die offensichtlich einseitig interessengeleitete Einschätzung des das „Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz“ als Grundlage für seine Entscheidung, die Verantwortlichen für den Skandal freizusprechen. Gilt das Grundgesetz und die Gesetze zum Schutz von Patienten nur, wenn dem keine wirtschaftlichen Interessen eines Medizinprodukteherstellers entgegenstehen? Wann bekommen Betroffene endlich die Chance auf Gerechtigkeit?

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