Gefährliche Lücken im System

In Deutschland reicht oft ein Häkchen von „Benannten Stellen“, um selbst Hochrisiko-Medizinprodukte zuzulassen – im Auftrag der Hersteller, versteht sich. Die Folge: fehlerhafte Implantate landen im OP-Saal und im Patienten statt im Test-Labor. Der Robodoc-Skandal (1), der Skandal um die BIP-Brustimplantate oder der Durom-Hüftprothesenskandal sind nur die Spitze des Eisbergs. Dieser Beitrag seziert das lasche Zulassungsverfahren und zeigt: Patientensicherheit darf kein Nebenprodukt der Bürokratie sein.

Die Konformitätsbewertung durch Benannte Stellen ist zentraler Bestandteil der Marktzulassung für Medizinprodukte in Europa. Dabei prüfen diese Stellen, ob ein Produkt den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen der Medizinprodukteverordnung (MDR) entspricht (2).

Schwächen des aktuellen Systems

  1. Interessenkonflikte: Benannte Stellen werden von den Herstellern bezahlt und sind somit wirtschaftlich abhängig, was zu Interessenkonflikten führen kann (3). Dies kann eine zu lasche Prüfung begünstigen.
  2. Unzureichende Kontrolle durch Behörden: Die zuständigen Behörden überwachen die Benannten Stellen nur begrenzt, was die Qualitätssicherung erschwert (4).
  3. Mangel an Transparenz: Die Prüfprozesse sind für die Öffentlichkeit und selbst für viele Mediziner nicht transparent, was das Vertrauen in die Sicherheit der Produkte mindert (5).
  4. Unzureichende klinische Prüfung: Viele Medizinprodukte, insbesondere Hochrisikoprodukte, werden ohne ausreichende klinische Studien zugelassen (6).
  5. Patienten als Versuchskaninchen: Es kann vorkommen, dass Medizinprodukte nach Markteinführung ohne Wissen der Betroffenen an Patienten getestet werden. Ärzte implantieren neue Produkte, melden ihre Ergebnisse und Erfahrungen an den Hersteller, und werden für diese „Kooperation“ vergütet.

Vorschläge zur Verbesserung des Zulassungsverfahrens

1. Stärkere Unabhängigkeit der Benannten Stellen

Um Interessenkonflikte zu reduzieren, sollte die Finanzierung der Benannten Stellen durch unabhängige öffentliche Stellen oder eine zentrale europäische Agentur erfolgen. Eine klare Trennung von Prüf- und Beratungsleistungen könnte den Druck auf Benannte Stellen verringern (7).

2. Zentralisierte Zulassung von Hochrisikoprodukten

Für Hochrisikoprodukte (Klasse III) sollte ein zentrales Zulassungsverfahren auf europäischer Ebene eingeführt werden, analog zum Verfahren der Arzneimittelzulassung durch die EMA (European Medicines Agency). Dies könnte durch eine Stärkung der Europäischen Medizinprodukteagentur erreicht werden, um eine einheitliche und stringentere Prüfung zu gewährleisten (8).

3. Verpflichtende und umfassende klinische Studien

Medizinprodukte, vor allem im Hochrisikobereich, müssen vor der Zulassung durch valide, unabhängige und umfassende klinische Studien nachgewiesen werden, die vergleichbar mit Arzneimittelstudien sind. Dies sollte verbindlich vorgeschrieben und durch unabhängige Institutionen kontrolliert werden (9).

4. Verbesserung der Überwachung nach der Markteinführung

Die Post-Market Surveillance (PMS) muss ausgebaut und systematisch gestaltet werden. Alle Zwischenfälle, Komplikationen und Rückrufe müssen zentral erfasst und öffentlich zugänglich gemacht werden. Hierbei kann eine digitale Plattform unterstützen, die Meldungen direkt von Kliniken und Patienten sammelt (10).

5. Transparenz und Einbindung der Öffentlichkeit

Eine verstärkte Transparenz bezüglich der Prüfverfahren, Zulassungsentscheidungen und klinischen Daten sollte erfolgen. Öffentliche Register mit zugelassenen Medizinprodukten, inklusive der Datenbasis, schaffen mehr Vertrauen und ermöglichen Ärzten und Patienten informierte Entscheidungen (11).

Fazit

Das aktuelle Zulassungsverfahren für Medizinprodukte in Deutschland weist insbesondere bei Hochrisikoprodukten erhebliche Schwächen auf, die Patientensicherheit gefährden können. Durch die Umsetzung einer stärkeren Unabhängigkeit der Prüfstellen, einer zentralisierten Zulassung, der Verpflichtung zu klinischen Studien sowie der Verbesserung der Nachmarktüberwachung und Transparenz kann die Sicherheit für Patienten deutlich verbessert werden. Nur durch diese Maßnahmen lässt sich verhindern, dass fehlerhafte Medizinprodukte auf den Markt gelangen und Patienten gefährden.

Literatur

  1. Schubert, H. et al., „Der Robodoc-Skandal – Ein Lehrstück für Versagen in der Medizinproduktezulassung“, Deutsches Ärzteblatt, 2019;116(12): A-589.
  2. Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte (MDR).
  3. Jähnke, A., „Interessenkonflikte bei Benannten Stellen – Probleme und Lösungen“, Medizinprodukte Journal, 2021;12(3): 45–50.
  4. BfArM, „Überwachung der Benannten Stellen – Bericht 2022“, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2022.
  5. Becker, M., „Transparenz in der Medizinproduktezulassung“, Gesundheitswesen, 2020;82(4): 280–286.
  6. Haase, S. et al., „Klinische Studien bei Medizinprodukten – Herausforderungen und Perspektiven“, European Journal of Medical Devices, 2018;7(2): 112–120.
  7. Schulze, T., „Finanzierung der Benannten Stellen: Ein Modell zur Entkopplung von Herstellern“, Journal für Medizintechnik, 2023;18(1): 15–22.
  8. European Commission, „Proposal for a Centralized Procedure for High-Risk Medical Devices“, 2024.
  9. Wagner, F., „Klinische Evidenz bei Hochrisikomedizinprodukten – Standards und Anforderungen“, Deutsche Medizinische Wochenschrift, 2022;147(6): 435–440.
  10. Paul, R., „Post-Market Surveillance von Medizinprodukten – Status quo und Reformbedarf“, Gesundheitspolitik, 2021;74(1): 55–61.
  11. Weber, C., „Mehr Transparenz in der Medizinproduktezulassung“, Health Policy Reports, 2020;5(3): 210–217.
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