Profit auf Kosten der Patienten

Die moderne Medizin steht zunehmend im Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlichem Druck und ärztlichem Ethos. Der aktuelle DGIMTalk (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) widmete sich diesem wachsenden Konflikt und machte deutlich: Ökonomische Anreize drohen das zentrale Ziel der Medizin – das Wohl des Patienten – zu verdrängen.

Giovanni Maio: Patienten als Mittel zum Zweck

Prof. Dr. Giovanni Maio, Medizinethiker an der Universität Freiburg, warnt vor einer tiefgreifenden Entfremdung medizinischer Praxis. Seit der Einführung der Fallpauschalen (DRGs) vor über 20 Jahren werde die Behandlung von Patientinnen und Patienten häufig nach finanziellen, nicht nach medizinischen Kriterien gesteuert. Dadurch sei eine gefährliche Zweck-Mittel-Umkehr entstanden: Der Patient werde zum Mittel der Erlösgewinnung, nicht länger Ziel fürsorglicher ärztlicher Handlung. Das führe zu einer Maximierung von Eingriffen – teils bei fragwürdiger Indikation –, zu einer Minimierung der Gesprächszeit und zu einem wachsenden Druck auf Personal und kleinere Kliniken.

Bei Medizinprodukten wird immer wieder eine Prüfung auf Patientensicherheit vor Marktzulassung umgangen. Klinische Test sind teuer und unter Umständen langwierig. Deshalb kommt es vor, dass klinische Tests erst nach Markteinführung an nichtsahnenden Patienten durchgeführt werden. Patienten mit einer fehlerhaften Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese können darüber aus leidvoller Erfahrung berichten.

Krankenhausreform mit begrenzter Wirkung

Die geplante Krankenhausreform (KHVVG), mit der Vorhaltepauschalen eingeführt werden sollen, bewertet Maio kritisch. Zwar sollen Kliniken zukünftig auch unabhängig von Fallzahlen Mittel erhalten, doch 40 Prozent ihrer Einnahmen müssten sie weiterhin über Prozeduren erwirtschaften. Vor allem für kleinere, ländliche Häuser bedeute das Einschränkungen im Leistungsspektrum und die Gefahr der Unterversorgung. Maio vergleicht die Reform mit einem „Heizungsgesetz der Medizin“ – gut gemeint, aber realitätsfern. Sein zentrales Plädoyer lautet: Die Betriebswirtschaft muss der Medizin dienen – nicht umgekehrt.

Patricia Klein: Effizienz ist kein Widerspruch

Eine andere Perspektive vertritt Dr. Patricia Klein von der Sächsischen Landesärztekammer. Für sie ist die Ökonomisierung kein plötzlicher Sündenfall, sondern eine schleichende Entwicklung. Sie verweist darauf, dass auch Effizienz ein medizinischer Wert sein kann – etwa dann, wenn spezialisierte Zentren nachweislich bessere Behandlungsergebnisse erzielen als kleine Häuser mit geringer Fallzahl. In Sachsen etwa werden Bauchspeicheldrüsenoperationen an 19 Standorten durchgeführt, oft mit weniger als 20 Eingriffen pro Jahr – ein strukturelles Problem, das sich durch Zentralisierung beheben ließe.

Ärztliche Mitgestaltung statt ökonomischer Fremdbestimmung

Klein fordert, dass Ärztinnen und Ärzte sich aktiv an der Gestaltung des Gesundheitssystems beteiligen. Sie plädiert für mehr Verantwortung innerhalb der Profession: Ein Arzt könne lernen zu rechnen, aber ein Betriebswirt könne die Komplexität medizinischen Handelns nicht durchdringen. Ziel müsse es sein, das ökonomische Vakuum mit medizinischem Sachverstand zu füllen – nicht, sich von wirtschaftlicher Logik dominieren zu lassen. Erst das Zusammenspiel von individueller Fürsorgeverantwortung und systemischer Verantwortung bilde das Fundament ärztlicher Ethik.

Zwischen Ethik und Realität: Eine schwierige Balance

Die Diskussion macht deutlich: Zwischen Ethik und Effizienz verläuft kein klarer Trennstrich. Während Maio die Gefahr einer Deformation der Medizin durch ökonomische Anreize betont, sieht Klein die Notwendigkeit, ökonomische Realitäten pragmatisch mitzugestalten. Beide Perspektiven treffen einen Nerv. Laut Umfrage geben 50 Prozent der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte an, regelmäßig unter ökonomischem Druck zu stehen. Maio sieht darin eine Bedrohung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient. Klein hingegen begreift es als Herausforderung, der sich die Ärzteschaft stellen muss.

Ein Kodex als Orientierung

Ein gemeinsamer Nenner ist dennoch erkennbar: Die Medizin braucht klare ethische Leitlinien, die auch unter wirtschaftlichen Bedingungen Bestand haben. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin initiierte Ärztekodex. Er definiert Grundprinzipien ärztlichen Handelns und dient als Argumentationshilfe gegenüber wirtschaftlicher Übergriffigkeit.

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