Unkontrollierte Medizinprodukte

Die CE-Kennzeichnung ist Voraussetzung, dass ein Produkt in Europa verkauft werden darf. Das gilt für Haushaltsgeräte genauso wie für Medizinprodukte. Ob das Produkt sicher ist, interessiert niemanden. Nicht einmal bei Medizinprodukten der Hochrisikoklasse wie Hüftprothesen, Brustimplantate oder Herzschrittmacher.

Bei Medizinprodukten der Hochrisikoklasse wird das CE-Kennzeichen normalerweise von einer sogenannten „Benannten Stelle“ vergeben. Diese prüft das Produkt auf Grundlage der Angaben des Herstellers. Sie wird vom Hersteller beauftragt und bezahlt. Eine unabhängige Prüfung kann so nicht stattfinden.

Das CE-Zeichen können sich Hersteller aber auch aus dem Internet herunterladen und auf Ihre Produkte aufbringen. Kontrolliert wird das so gut wie nicht.

Unkontrollierte Medizinprodukte – Zugelassen wird jeder Dreck!

Die Zulassung von Medizinprodukten in Europa erfolgt, anders als bei Medikamenten, durch private Unternehmen. Die sogenannten „Benannten Stellen“ vergeben nach einem von der EU vorgeschriebenen Procedere das CE-Kennzeichen. Sie sind wirtschaftlich orientiert und müssen wie jedes andere Unternehmen am Ende des Jahres einen positiven Saldo aufweisen. Ohne ausreichende Gewinne müssten auch sie Insolvenz anmelden. Entscheidend für ihren wirtschaftlichen Erfolg sind deshalb eine gute Auftragslage und lukrative Aufträge.

Zulassungsverfahren

Jedes Produkt, das in Europa auf den Markt gebracht werden soll, muss das CE-Kennzeichen haben. Bekannt dürfte es vielen sein von Haushaltsgeräten, Spielsachen oder elektrischem Equipment. Doch auch Medizinprodukte, die in Patienten eingebaut werden sollen, durchlaufen das selbe Verfahren. Das Problem: das CE-Konformitätsverfahren prüft nicht die Sicherheit des Produkts für den Verbraucher, sondern nur die Übereinstimmung mit Richtlinien und Regelungen der EU. Geprüft werden die Unterlagen, die der Hersteller bei der Benannten Stelle einreicht. Es wird geschaut, ob die Vorgaben der EU bei der Herstellung beachtet wurden. Zum Beispiel, ob die Produktionsstätten über genügend Belüftungsmöglichkeiten oder ausreichende Raumhöhe verfügen. Die Sicherheit des Produkts wird nicht geprüft. Sie steht nicht im Aufgabenkatalog der Benannten Stelle. Das CE-Kennzeichen ist deshalb kein Qualitäts- oder Sicherheitssiegel, obwohl dies immer wieder behauptet wird.

Von vielen Produkten, die für den europäischen Markt zugelassen werden, droht den Verbrauchern deshalb Gefahr. Kinderspielsachen aus China mit giftigen Farben, elektrische Geräte, bei denen regelmäßig die Sicherungen rausspringen und vieles mehr. Hier ist das Gefährdungspotenzial jedoch überschaubar und leicht abzustellen. Im Zweifelsfall entsorgt man das Produkt. Doch Medizinprodukte werden nach dem selben laschen Zulassungsverfahren auf den Markt gebracht. Und eine Hüftprothese lässt sich nicht so einfach wieder aus dem Körper entfernen und entsorgen und dann ist alles wieder gut.

Böse Trickserei: Klinische „Prüfungen“ statt Klinische „Studien“

Die Benannten Stellen sind in Europa für die Vergabe der CE-Kennzeichnung zuständig. Sie prüfen die Unterlagen, die vom Hersteller eingereicht werden auf Übereinstimmung des Produkts mit den EU-Richtlinien. Eine Prüfung auf mögliche Gefährdungen durch das Medizinprodukt für Patienten wird nicht durchgeführt. Die bei Produkten der höchsten Risikogruppe eigentlich vorgeschriebenen klinischen Tests werden von den Herstellern häufig umgangen. Der Hinweis auf ein ähnliches Produkt, das bereits eine Zulassung hat, reicht für die Zulassung oft aus. Ob tatsächlich Ähnlichkeit gegeben ist und deshalb das sogenannte „Äquivalenzprinzip“ zum Zuge kommen kann, wird nicht geprüft. Muss doch einmal eine klinische Untersuchung des Medizinprodukts auf Sicherheit durchgeführt werden, wird sie einfach „Klinische Prüfung“ genannt. Für Klinische Prüfungen sind die Voraussetzungen und Kriterien nicht definiert. Sie können frei „interpretiert“ werden. So kann es vorkommen, dass eine Literaturliste mit entsprechenden Zitaten über ein dem Äquivalenzprodukt ähnliches Produkt als „Klinische Prüfung“ durchgeht.

Inflationäre Nutzung der Äquivalenz

Der inflationären Nutzung der Äquivalenz bei Medizinprodukten will die neue Medical Device Regulation (MDR) der EU Einhalt gebieten. Diese trat 2017 in Kraft und sollte nach einer Übergangszeit ab dem 25.05.2020 in allen europäischen Ländern gelten. Doch der Termin wurde immer wieder verschoben. Inzwischen soll sie zum 25.05.2022 in Kraft treten.

Das Johner-Institut bietet Medizinproduktehersteller Hilfe an bei der Umgehung von aussagekräftigen Klinischen Studien. Es weist zunächst einmal darauf hin, dass die neue Medical Device Regulation die Begriffe „Klinische Prüfung“ und  „sonstigen klinischen Prüfungen“ unterscheide. Die Verwendung des Begriffs „Klinischen Studien“ solle unterbleiben. Denn Klinische Studien sind klar definierte wissenschaftliche Untersuchungen, die höchsten Wissenschaftsstandards genügen, valide und reproduzierbar sein müssen.

„Daher sollte der Begriff der „klinischen Studie“ im Kontext von Medizinprodukten nicht mehr verwendet werden.“ (Quelle: Johner-Institut). Und das Ziel Klinischer Prüfungen sei, den Nachweis zu erbringen, dass der Nutzen das Risiko überwiegt. Wohlgemerkt, nicht die Sicherheit des Medizinprodukts für Patienten nachzuweisen.

Das Johner Institut weist ferner darauf hin, dass wenn klinischen Daten für einen Bericht (Clinical Evaluation Report, CER) nicht in ausreichender Menge oder Güte in der wissenschaftlichen Literatur vorhanden sind, die Hersteller diese Daten im Rahmen klinischer Prüfungen erheben müssen. Doch weder für die Benannten Stellen noch für die Hersteller gibt es klar definierte Anforderungen an solche Prüfungen.  Sie können Kriterien und Inhalte des CER frei interpretieren.

Beispiel 1: Fiktive Hüftprothese

Journalisten des British Medical Journal und des Daily Telegraph stellten aus Teilen von fehlerhaften Hüftprothesen ein fiktives Hüftprothesenmodell zusammen. Aus der Beschreibung und dem Produktblatt ergab sich eindeutig, dass die Prothese so nicht funktionieren kann. Mit ihrer Kreation wollten die Journalisten herausfinden, ob diese offensichtlich gefährliche Prothese eine Zulassung für den europäischen Markt bekommen würde.

Akribisch stellten sie die Unterlagen für ihr falsches Prothesenmodell zusammen. Diese reichten sie zur Zulassung der fiktiven Prothese bei verschiedenen Benannten Stellen in Europa ein. Eigentlich darf ein Produkt bei nur einer Benannten Stelle eingereicht werden, aber kontrolliert wird das nicht. Und da die Unterlagen zur Zufriedenheit der Benannten Stelle ausfielen, erhielten die Journalisten von jeder Benannte Stelle die Zulassung der Prothese für den europäischen Markt. Sie hätten sie also Ärzten und Krankenhäusern anbieten können und diese hätten sie in Patienten implantieren können. Mit vorhersehbar entsetzlichen Folgen für die Patienten.

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Beispiel 2: Mandarinennetz aus dem Supermarkt

Jet Schouten ist Journalistin und arbeitet für einen niederländischen Fernsehsender. Sie hat im Rahmen der ImplatFiles Recherchen ein Madarinennetz aus dem Supermarkt als Medizinprodukt Benannten Stellen eingereicht. Von allen bekam sie die Zulassung als Beckenbodennetz für Frauen. Das Mandarinennetz hätte somit in Patientinnen implantiert werden können.

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