Gefährliche Medizinprodukte – Versuchskaninchen Patient

Gefährliche Medizinprodukte – Versuchskaninchen Patient. Bericht über die Videoveranstaltung der Durom-SHG am 25.02.2021
Referenten: Hanspeter Hauke, Manfred Mamber

Hanspeter Hauke, Vorsitzender der Durom-SHG und der Referent der Video-Veranstaltung, begrüßte die zahlreich anwesenden Gäste und Betroffene aus der gesamten Bundesrepublik und führte in das Thema ein.

Zusammenfassung:

Das Zulassungsverfahren für Medizinprodukte muss geändert werden, da die „Benannten Stellen“, die dem Produkt mit dem CE-Kennzeichen die Zulassung für den europäischen Markt gestatten, vom Hersteller beauftragt und bezahlt werden. Auch die neue Medical Device Regulation wird keine Verbesserungen für die Patienten bringen, da sie nach wie vor auf dem Prinzip der wirtschaftlichen Abhängigkeit der „Benannten Stellen“ von den Herstellern basiert. Nach Markteinführung muss eine effiziente Kontrolle der Produkte und der Schutz der Patienten grundlegend verbessert werden. Untragbar ist, dass zwischen Hersteller, Krankenhausträger und Ärzten auf Kosten der Patienten ein System der wechselseitigen Vorteile geschaffen wurde.

Der Bericht bezieht sich auf die Powerpointfolien, die während der Veranstaltung gezeigt wurden. Zum Herunterladen der Powerpointpräsentation hier klicken.

Bericht:

Nach Hinweis auf die Homepage der Selbsthilfegruppe durom.hueftprobleme.de, auf der Informationen für Betroffene und Interessierte bereit stehen und kontinuierlich aktualisiert und ergänzt werden, ging Hauke auf die Tätigkeitsschwerpunkte des Vereins ein. So legte der Vorstand 2017 in einem Gespräch mit dem damaligen Staatssekretär Ulrich Kelber und dem rechtspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Johannes Fechner im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Berlin am Beispiel der Durom-Hüftprothese die unhaltbare Zulassungspraxis bei Medizinprodukten in Deutschland und Europa dar. Die Vertreter der SHG übergaben Unterlagen und einen Forderungskatalog zur Verbesserung der Patientensicherheit. In Kontakten zu Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene weist der Verein immer wieder auf Mängel bei der Patientensicherheit hin und fordert Verbesserungen. Mitglieder und Betroffene werden in Veranstaltungen zusammen mit Experten zu rechtlichen, technischen, gesundheitspolitischen, medizinischen und persönlichen Fragen informiert. Ein weiterer Schwerpunkt, so Hauke weiter, liegt in der Zusammenarbeit mit den Medien und der Aufbereitung von Informationen für die Homepage. (Folie 3)

Zulassungsverfahren

Die Zulassungsverfahren für Medikamente und Medizinprodukte unterscheiden sich grundlegend. Für die Zulassung von Medikamenten sind in Deutschland die von den Herstellern unabhängigen Institute BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) und das PEI (Paul-Ehrlich-Institut) zuständig, auf europäischer Ebene gibt es die unabhängige EMA (Europäische Arzneimittel Agentur), die nach dem Motto „Sicherheit vor Schnelligkeit“ die in letzter Zeit Impfstoffe gegen den Corona-Virus geprüft und nach Prüfung zugelassen hat und die alle Medikamente und Arzneien, die Zulassung für Europa beantragen, prüft und zulässt. Für die Zulassung von Medikamenten müssen die Hersteller nicht nur umfassende und mehrstufige klinische Tests durchführen, dokumentieren und zur Prüfung vorlegen, sondern auch ihre Zwischenschritte, Erkenntnisse, Schlussfolgerungen und Vorgehensweisen bei Forschung, Entwicklung und Herstellung des Medikaments umfassend dokumentieren. Und nicht zuletzt unterliegen die Hersteller selbst umfassenden Überprüfungen durch die genannten Institute. (Folie 4)

CE-Kennzeichen

Medizinprodukte werden durch ein Konformitätsverfahren, an dessen Ende das CE-Kennzeichen steht, durch sogenannte „Benannte Stellen“ für den europäischen Markt zugelassen. Geprüft werden die vom Hersteller eingereichten Unterlagen auf Vollständigkeit und darauf, ob sie den europäischen Richtlinien zur Herstellung von Produkten in Europa entsprechen. Im Prinzip sind die Verfahren für die Zulassung von Medizinprodukten identisch mit der Zulassung von Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens wie Toaster oder Unterhaltungselektronik, die für einen Vertrieb in Europa das gleiche CE-Kennzeichen benötigen wie Medizinprodukte. Eine Prüfung auf medizinische Unbedenklichkeit oder medizinische Notwendigkeit ist im Aufgabenkatalog für die „Benannten Stellen“ nicht vorgesehen. So musste der TÜV Rheinland nach einem Urteil des EuGH (Ur¬teil vom 16.02.2017, Az.: C-219/15) bei den Silikon-Brustimplantaten nicht prüfen, ob das Brustimplantat eine Gesundheitsgefährdung darstellt oder darstellen könnte, indem billiges Industriesilikon verwendet wurde. Entgegen der oft verbreiteten Ansicht prüfen die „Benannten Stellen“ nicht die Qualität eines Medizinprodukts und das CE-Kennzeichen ist auch kein Qualitätssiegel, sondern nur ein Verwaltungszeichen. (Folie 5)

Zulassungsrichtlinien

Die Zulassung von Medizinprodukten in Europa erfolgt im Wesentlichen auf der Grundlage der Richtlinie „93/42/EG Medical Device Directive (MDD)“ sowie der „90/385/EG Active Implantable Medical Devices (AIMD)“ bzw. „98/79/EG In-Vitro Diagnotic Directive“. Diese wurde in Folge der Skandale um die Brustimplantate, fehlerhafte Prothesen, Herzschrittmacher u.a. überarbeitet. Am 25. Mai 2017 traten die neuen Verordnungen über Medizinprodukte (MDR 2017/745/EU) und In-vitro Diagnostika (IVDR 2017/746/EU) in Kraft mit einer Übergangsfrist bis 25.05.2020. Diese wurde inzwischen zuerst auf 25.05.2021 und inzwischen auf den 25.05.2022 verschoben. Bis dahin gelten die bisherigen Zulassungsbestimmungen für Medizinprodukte in Europa. (Folie 6)

Auf der Homepage www.durom-hueftprobleme.de der SHG werden umfangreiche Informationen zur Problematik des Zulassungsverfahrens von Medizinprodukten zur Verfügung gestellt. Besonders gravierend erscheinen der SHG,

  • dass die „Benannten Stellen“ ihren Auftraggeber kontrollieren sollen, gleichzeitig aber von diesem bezahlt werden und somit finanziell abhängig sind,
  • dass die „benannten Stellen“ ein viel zu begrenzten Prüfauftrag haben, der ihnen keine Möglichkeit gibt, das Produkt auf Ungefährlichkeit für Patienten zu prüfen,
  • dass die „Benannten Stellen“ selber weder Qualitätsstandards unterworfen sind noch systematisch überprüft werden und
  • dass die Zuständigkeit für Medizinprodukte in der Europäischen Kommission der Generaldirektion (GD) „Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU übertragen wurde und nicht mehr wie bisher bei der Generaldirektion „Gesundheit“ liegt. (Folie 7)

Die für das CE-Kennzeichenverfahren zuständige GD „Binnenmarkt etc.“ schreibt auf ihrer Homepage:
„Please note that a CE marking does not indicate that a product have been approved as safe by the EU or by another authority. It does not indicate the origin of a product either.“

Zugelassen wird jeder Schrott

Zwei extreme Beispiele dafür, dass die Zulassung von Medizinprodukten im Interesse der Patientensicherheit dringend geändert werden muss, stellen die Zulassung eines Mandarinennetztes aus dem Supermarkt zur Unterstützung der Beckenbodenmuskulatur bei Frauen dar sowie die Zulassung einer fiktiven, nicht real existierenden Hüftprothese, die aus Teilen bestand, die wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit bereits vom Markt genommen worden waren. Beide Medizinprodukte erhielten ohne Probleme die Zulassung für den europäischen Markt und hätten damit in Patienten implantiert werden können. (Folie 8)

Seit langem fordert die SHG deshalb:

  • unabhängige Zulassungsstellen für Medizinprodukte wie sie bei Medikamenten schon lange selbstverständlich sind, einzuführen,
  • strengere Kontrollen der Hersteller und ihrer Produkte vor Marktzulassung,
  • die Einschränkung der Äquivalenz, mit der eigentlich vorgeschriebene klinische Test mit Verweis auf ähnliche Produkte, zu deren Unbedenklichkeit Textstellen in der Literatur gefunden werden können,
  • Die systematische Überwachung (Vigilanz) von Medizinprodukten nach Markteinführung,
  • effiziente Hilfen für Patienten, wenn sich ein Medizinprodukt nach Markteinführung als fehlerhaft herausstellt

Es kann beispielsweise nicht angehen, dass das Regierungspräsidium Freiburg den Betroffenen jeder Art von Unterstützung versagt und sich darüber hinaus ohne Begründung weigert, der Empfehlung des BfArM, das Durom-Prothesemodell vom Markt zu nehmen, zu entsprechen. (Folie 9)

Bringt MDR Verbesserungen für Patienten?

Auf den ersten Blick bietet die neue MDR (Medical Device Regulation) einige Verbesserungen für die Patientensicherheit. Dazu gehören unangekündigte Audits, also komplexe Überprüfung der Hersteller, die Umsetzung einer einmaligen Produktnummer, die es ermöglicht, jedes einzelne Medizinprodukt bis zu seinen Ursprüngen zurück zu verfolgen sowie eine Einschränkung der Äquivalenz. Doch das Hauptproblem löst auch die MDR nicht. Denn solange das unkontrollierte, auf wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit basierende Zusammenwirken von Hersteller und „Benannter Stelle“ aufrechterhalten wird, kann es keine wirklichen Verbesserungen bei der Patientensicherheit geben. (Folie 10)

Forderungen für mehr Patientensicherheit

Für ein nachhaltiges Mehr an Patientensicherheit fordert die Durom-SHG eine Haftpflichtversicherung für Hersteller, die unmittelbar nach Bekanntwerden von Problemen mit einem Medizinprodukt die betroffenen Patienten entschädigt und alle Maßnahmen zur Linderung der erlittenen Schäden organisiert, koordiniert und finanziert. Die Ärzte müssen einer erweiterten Auskunftspflicht sowohl vor als auch nach der Operation unterworfen werden und die ärztliche Berufshaftpflicht darf dem Arzt nicht unter Androhung des Verlustes des Versicherungsschutzes Auskünfte gegenüber Dritten untersagen. Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Patienten und Herstellern ist für ein wenigstens annähernd ausgeglichenes Kräfteverhältnis zu sorgen. Dies könnte durch die Beweislastumkehr geschehen, indem der Hersteller bei einer Fehlerquote seines Produkts von über 5% automatisch den Nachweis führen muss, dass sein Produkt nicht fehlerhaft ist, und nicht der Patient, dass seine Prothese fehlerhaft ist. Hilfreich wäre auch die Möglichkeit von Sammelklagen, die wie in Amerika schon lange üblich, den Patienten in die Lage versetzen würden ohne finanzielles Risiko sein Recht vor Gericht zu erstreiten. Das System der Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen auf Grundlage dubioser und für Fälle von fehlerhaften Medizinprodukten nicht übertragbaren Tabellen von Haks, ADAC o.ä. aus den 60-er Jahren ist aufzuheben zu Gunsten einer adäquateren Bemessung der Höhe von Zahlungen, die nicht nur Geschädigte tatsächlich zumindest finanziell entschädigen, sondern Hersteller auch vor allzu leichtfertigem Inverkehrbringen nicht getesteter und unausgereifter Produkte abschrecken würden. (Folie 11)

Enge Interessenverquickung

In der Regel trifft der Hersteller von Medizinprodukten mit dem Krankenhausträger über den Ankauf und dem Chefchirurgen über die Implantation der Prothese Vereinbarungen. Dem Träger werden wie allgemein üblich mit höherer Stückzahl günstigere Konditionen eingeräumt. Es gibt Hinweise, dass große Krankenhauskonzerne wie Helios oder Asklepios bei entsprechender Stückzahl für eine Hüftprothese vom Hersteller zwischen EUR 600.- und EUR 800.- in Rechnung gestellt bekommen, die dann mit den Krankenkassen mit ca. EUR 7.500.- abgerechnet werden. Es ist bekannt, dass Ärzten bei Erreichen einer Zahl X an eingebauten Hüftprothesen vom Hersteller lukrative Vortragsreisen, Forschungslabore, Publikationen, Vorstandsposten oder Professuren erhielten. Im Gegenzug liefern die Ärzte dem Hersteller dann Daten über die implantierten Prothesen und die Patienten. Das erklärt zumindest teilweise die exorbitant gestiegenen Zahlen an Hüft-TEP und Knieoperationen in Deutschland. Denn je mehr Prothesen in einem Krankenhaus von einem Arzt implantiert werden umso höher der wirtschaftliche Gewinn des Krankenhausträgers und umso lukrativer die Vorteile für den Arzt. Der Patient bleibt bei diesem System wieder einmal in den A… gekniffen, denn ihm wird nicht nur verschwiegen, dass er ein neues, bis Dato noch nicht ausreichend getestetes Prothesenmodell („Mercedes der Hüftprothesen“) erhalten soll und er eigentlich kostenloses Versuchskaninchen ist, sondern funktioniert die Prothese, er am Ende alleingelassen wird und zusehen muss, wie er mit der Situation klarkommt. So geschehen, erlebt und erlitten von den Patienten mit einer Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese der Firma Zimmer oder einer ASR Hüftprothese der Firma DePuy oder … oder …. (Folie 12)

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