Zimmer verurteilt – und nun?

RA Dr. Dirk Liebold und Hanspeter Hauke

Auf Einladung der Durom-Selbsthilfegruppe berichtete Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Dirk Liebold über den aktuellen Stand der juristischen Auseinandersetzungen wegen der fehlerhaften Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese. Im Oktober 2022 hatte der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt, in welchem Zimmer Biomet zur Zahlung von EUR 25.000.- plus Zinsen verurteilt worden war. In seinem Vortrag vor Mitgliedern der Durom-SHG und Interessierten am 11. Januar 2023 in Freiburg ging Rechtsanwalt Dr. Liebold auf Stand und die Entwicklung der Gerichtsverfahren ein und gab einen Ausblick über die weiteren Entwicklungen.

Zusammenfassung des Vortrags am 11. Januar 2023 bei der Durom-SHG von Rechtsanwalt Dr. Dirk Liebold:

„Erstes Urteil gegen Zimmer Biomet nun rechtskräftig – Wie geht es weiter nach dem BGH-Beschluss?“

  1. Beginn

Die Kanzlei lübbert rechtsanwälte in Freiburg beschäftigt sich seit mehr als 13 Jahren mit der Hüftprothesenproblematik. Im August 2009 waren Probleme mit der Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese der Firma Zimmer an die Öffentlichkeit gedrungen. Die Kanzlei hatte als erste gemeinsam mit dem Orthopäden Dr. Feil bereits im Jahre 2009 eine Informationsveranstaltung abgehalten, bei der die medizinischen und rechtlichen Hintergründe beleuchtet wurden.

  1. Erste Klagen vor dem LG/Verjährungsverzichte

Im Jahre 2010 wurden erste Klagen anhängig gemacht und zwar sowohl für Patienten, bei denen es zu Revisionsoperationen gekommen war, als auch für Patienten, bei denen die implantierte Prothese keine Probleme machte. Dass das erste Urteil erst nach 12 Jahren rechtskräftig werden konnte, hat im Wesentlichen drei Gründe:

  • Die fehlende Festlegung einer Spezialzuständigkeit einer einzigen Kammer beim LG, wodurch es zur Aufsplitterung der Verfahren bei vielen Kammern kam, was bis heute andauert. Als erste wollte keine Kammer die Sache anfassen, bzw. der erste sein, der ein Urteil abfasst.
  • Das prozessuale Verhalten der Gegenseite mit umfangreichen Schriftsätzen und bisher so nicht bekannten, langen Fristverlängerungsanträgen sowie
  • natürlich die produktspezifische Komplexität der Angelegenheit mit den sich daraus ergebenden rechtlichen Fragestellungen.

Für die Patienten, die nicht Klagen wollten, oder auch nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügten, wurde – bis heute – die Sicherung der Ansprüche durch die Einholung von Verjährungsverzichten und Verlängerungen der produkthaftungsrechtlich beachtenswerten Ausschlussfrist gewährleistet.

  1. Erstinstanzliche Urteile des LG Freiburg

Die ersten Urteile des LG Freiburg wurden im Jahre 2016 und den folgenden Jahren getroffen, die Verfahren für Revisionspatienten mit beinahe allesamt positivem Ausgang. Das Landgericht hat in einer Vielzahl von Fällen – gestützt vor allem auf die fachlich überzeugenden Aussagen des Gerichtsgutachters Prof. Mittelmeier aus Rostock einen Produktfehler festgestellt und zwar dahingehend, dass vor allem ein Instruktionsfehler vorliegen würde, weil durch die Bauanleitung keine sichere Verbindung der aus mehreren Komponenten bestehenden Hüftprothese reproduzierbar erreicht werden konnte. Ob die Produktteile fest verankert werden konnten, war vom Hersteller also dem Zufall überlassen worden.

Die vom dem Alternativgutachter Prof. Dr. Kretzer aus Heidelberg vorgetragene Behauptung, zwar sei das Produkt fehlerhaft, weil es zu häufig aufgrund verschiedener Mechanismen versagen würde, dieser Fehler sei aber bei Inverkehrbringen des Produkts nicht erkennbar gewesen, wurde von den Kammern als nicht überzeugend abgelehnt. Hier folgten die Kammern anderslautenden Ausführungen von Prof. Mittelmeier. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es unterschiedliche Urteile zur Höhe des Schmerzensgeldes, so einmal € 20.000,00 für eine Revisionsoperation oder auch € 25.000,00.

  1. Berufung der Beklagten/z.T. Anschlussberufung durch Kläger

Diese klagestattgebenden Urteile ließ die beklagte Fa. Zimmer nicht gegen sich gelten und ging dagegen in Berufung. Sie war der Auffassung, das Landgericht hätte zu Unrecht einen Produktfehler angenommen, im Übrigen würden die Klagen an dem Nachweis der Kausalität scheitern. Es wären eine Vielzahl an Alternativursachen für das Produktversagen möglich. Den Ausschluss der Alternativursachen hätten die Kläger nicht geführt.

  1. Ruhen der Verfahren/Verständigung auf ein Musterverfahren

Auf Grund der vorliegenden Urteile konnte man sich mit der Gegenseite auf ein „Musterverfahren“ verständigen, in dem vor dem OLG nun die maßgeblichen Fragen zum Produktfehler diskutiert werden sollten. In dem Musterverfahren ging es um einen Patienten, der relativ früh in seinem Leben eine neue Hüfte erhalten musste (Implantation 2005), dann Beschwerden durch den Metallabrieb hatte. Seine Beschwerden konnten durch die Revisionsoperation (Jahre 2009) wieder behoben werden. Da hier der medizinische Sachverhalt relativ klar und eindeutig war, konnten die Juristen sich auf die produktspezifischen Fragen konzentrieren. Zu dieser Zeit wurden dann auch eine Vielzahl an Verfahren in Absprache mit allen Prozessbeteiligten ruhend gestellt, bis über dieses Musterverfahren entschieden wurde. Dies betraf sowohl Verfahren für Revisionspatienten, als auch für solche Patienten, bei denen noch kein Verschleiß erkannt wurde.

  1. Verfahren vor dem OLG Karlsruhe/Entscheidung des OLG

Im Frühjahr 2020 kam es dann zu der entscheidenden mündlichen Verhandlung vor dem OLG Karlsruhe, bei der beide Gutachterlager (Prof. Dr. Mittelmeier/PD Dr. Klüß und Prof. Dr. Kretzer) anwesend waren und Rede und Antwort standen. Bei dieser Verhandlung überzeugte erneut Prof. Mittelmeier mit seinen Aussagen. Es bestätigte sich Folgendes:

  • Produktfehlerbedingt (keine ausreichende Fügekraft) sei es nicht in der Gleitpaarung, sondern in der Konusverbindung zu einem gesundheitsgefährdenden, übermäßigen, intolerablen Metallabrieb (durch galvanische Korrosion/Spaltkorrosion) gekommen, was vermeidbar gewesen sei.
  • Am Konus darf es nicht zu einem erheblichen Abrieb kommen. Die Prothese halte den hohen Sicherheitserwartungen (EU-Klasse IIb) an die Produktsicherheit von Hüftprothesen nicht stand.
  • Die Revisionsoperation sei auf den Metallabrieb zurückzuführen. Ob die außerdem bestehende Bursitis (Schleimbeutelentzündung) darauf zurückzuführen sei, blieb offen.

Prof. Mittelmeier konnte den Senat auch davon überzeugen, dass der Produktfehler bereits beim In-Verkehr-bringen des Produkts Anfang der 2000er, jedenfalls im Jahre 2005 durch entsprechende Tests hätte erkannt werden können.

Insoweit bestätigte der Senat des OLG Karlsruhe das erstinstanzliche Urteil mit Senatsurteil vom 8.6.2020 – 14 U 171/18 und verurteilte die Fa. Zimmer zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 25.000,00 nebst Zinsen. Die Revision ließ das OLG Karlsruhe erst gar nicht zu. Dazu stellte es zwar fest, dass die fachlichen Fragen sicherlich komplex seien. Im Ergebnis subsumierte der Senat seine getroffenen Feststellungen aber unter die Haftungsnorm des Produkthaftungsgesetzes und stellte dar, dass eine höchstrichterliche Entscheidung nicht erforderlich sei.

  1. Nichtzulassungsbeschwerde der Fa. Zimmer vor dem Bundesgerichtshof (BGH)

Es war absehbar, dass die Fa. Zimmer eine sog. Nichtzulassungsbeschwerde gegen die unterlassene Zulassung der Revision vom BGH von den Anwälten der Firma Zimmer eingereicht wurde. Dabei versuchte der Hersteller den BGH davon zu überzeugen, dass das OLG Karlsruhe das Recht falsch angewandt habe.

Sie behauptete:

  • Der Senat habe die vom BGH entwickelten berechtigten Sicherheisterwartungen an Hüftprothesen bereits verkannt. Behauptet wurde, die Prothese entspreche den Sicherheitserwartungen. Bei jedem System komme es stets zu einem gewissen Abrieb. Die Patienten wussten nach entsprechender Aufklärung also darum. Insoweit konnte die Sicherheitserwartung nicht verletzt werden.
  • Der Senat weiche von der Rechtsprechung des BGH und anderen Oberlandesgerichten zur Darlegungs- und Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Produktfehler und Gesundheitsverletzung ab. Der Patient müsse nicht nur Indizien beweisen, sondern den vollen Kausalitätsbeweis erbringen. Die Hersteller müssten dementsprechend nicht Alternativursachen belegen, wie dies der Senat des OLG angenommen habe.
  • Schließlich sei klärungsbedürftig, was unter den sog. Entwicklungsfehlern gem. § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG zu verstehen sei. Es habe an einem erkennbar gesteigerten Risiko bei der konkreten Konzeption des Produkts gefehlt. Die Schwachstelle „Konusverbindung“ sei zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens nicht erkennbar gewesen. Es sei kein gesteigertes Versagensrisiko zu etablierten Prothesen erkennbar gewesen.
  1. Entscheidung des BGH (VI ZR 939/20)

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wurde mit Beschluss vom 9.8.22 zurückgewiesen. Die genauen Gründe dazu werden – wie dies üblich ist – nicht veröffentlicht; insoweit bleibt Raum für Spekulationen. Jedenfalls hat der BGH lapidar – wie immer in solchen Fällen – ausgeführt, die Nichtzulassungsbeschwerde weise weder grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf noch erfordere eine Fortentwicklung des Rechts bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH.

Damit erhielt der Kläger inzwischen das Schmerzengeld von € 25.000,00 nebst den angelaufenen Zinsen, die wegen der langen Verfahrensdauer nicht gering waren.

  1. Folgen außergerichtlich

Daraufhin wurden die Bevollmächtigten der Fa. Zimmer kontaktiert und darum gebeten, mitzuteilen, ob nun eine Vergleichsbereitschaft bestehen würde.

Dies wurde grundsätzlich signalisiert. Inzwischen wurde mitgeteilt, dass man insbesondere bei den Fällen vergleichsbereit sei, die mit dem „Musterverfahren“ vergleichbar wären. Um welche es sich dabei handelt und welche Fälle vom Hersteller ausgeschlossen werden sollen, wird nun in, wohl wieder langwierigen, Verhandlungen zu klären sein.

  1. Folgen gerichtlich

Ähnlich wird es bei den bereits anhängigen Verfahren laufen. Aber auch hierzu steht noch Vieles aus und es bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.

  1. Offene Fragen

Offene Fragen gibt es noch bei Fällen,

  • die atypisch sind, also nicht auf den ersten Blick vergleichbar mit dem nun rechtskräftig entschiedenen Verfahren;
  • bei denen gegebenenfalls Alternativursachen gegeben sind;
  • die Prothese nachweislich falsch eingesetzt wurde;
  • bei denen Revisionsoperationen durchgeführt wurden, obwohl sich dann herausstellte, dass noch gar keine Osteolysen vorhanden waren und auch kein Metallabrieb (Stichwort: Präventiver Wechsel). In diesem Zusammenhang muss geklärt werden, ob die „Herzschrittmacher-Rechtsprechung“ des EuGH auf die Hüftprothesenfälle übertragbar ist. Der EUGH ist der Auffassung, dass bei einer Versagensrate bei einem Medizinprodukt von mehr als 5% das Produkt als fehlerhaft zu gelten hat, so dass bereits ein reiner Fehlerverdacht zu einer Haftung führt und auch „präventiv durchgeführte Revisionsoperationen“ ohne belegbarem sonstigen Gesundheitsschaden Schadensersatzansprüche auslösen können. Nach Auffassung der Kanzlei lübbert rechtsanwälte (Dr. Liebold und Dr. Berst-Frediani) ist eine Übertragbarkeit gegeben.
  • bei denen es bis heute nicht zu einem Prothesenwechsel gekommen ist. Hier soll es negative Gerichtsentscheidungen geben, die aber noch nicht bekannt sind. Angeblich sieht eine Kammer des LG in Freiburg keinen Schaden und auch keine Rechtsansprüche für die Kompensation von (Versagens-)Ängsten. Diese Entwicklung gilt es abzuwarten. Parallel hierzu werden diese Verfahren jedoch aktiv weiter vorangetrieben, weil man davon ausgehen sollte, dass auch diesen Patienten ein Schmerzensgeld dem Grunde nach zusteht.

Dr. Liebold, Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

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