Mafiöse Strukturen schaden Patienten?

Bei der Markteinführung neuer oder weiterentwickelter Medizinprodukte steht der Patient einer gut organisierten Interessengemeinschaft aus Herstellern, Krankenhäusern, Ärzten, Gutachtern und Labors gegenüber. Gegen diese Phalanx haben Betroffene kaum eine Chance. Wie die „Zusammenarbeit“ gegen die Interessen der Patienten funktioniert beschreibt Hanspeter Hauke in seinem Kommentar zu den bisherigen Erfahrungen beim „Freiburger Hüftprothesenskandal„. Weiterlesen

Firma Zimmer: 71,9 Mio $ für Produkthaftung

Der Geschäftsbericht der Firma Zimmer (Stand: 31.12.2009) bietet vor allem auf S. 62 unter Punkt 17 für Patientinnen und Patienten mit einer fehlerhaften Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese interessante Informationen. Demnach scheinen die Verantwortlichen davon auszugehen, dass es im Laufe der Jahre zu erheblichen Kosten durch Verurteilungen im Zusammenhang mit der Haftung für fehlerhafte Medizinprodukte kommen wird. Sie haben deshalb Rückstellungen in Höhe von 71,9 Millionen US Dollar für Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen gebildet. Dies ist einerseits ein beruhigendes Zeichen, da es die Hoffnung nährt, dass klagende Patienten im Falle eines Obsiegens vor Gericht auch tatsächlich finanziell entschädigt werden können, auf der anderen Seite ist unklar, ob dieser Betrag nicht hauptsächlich für Anwaltskosten eingestellt wurde, um alle Ansprüche von Betroffenen abzuwehren.

Im Juli 2008 nahm Zimmer in Amerika zeitweise die Durom Acetabular Hüftprothese (Durom Cup) aus dem Vertrieb. Diese sind wohl bis auf eine glatte Pfannenaußenseite in den USA gegenüber einer rauhen in Deutschland identisch mit dem im Loretto Krankenhaus verwendeten Modell. In Amerika hatten sich die Pfannen gelockert. In Deutschland führt stark erhöhter Abrieb am Kopfadapter des Schaftkonus zu Metallose und nekrotischem Gewebe. Der zerfressene Knochen und das abgestorbene Gewebe machten in vielen Fällen eine rasche Re-Operation erforderlich. BEsonders hart traf es Betroffene, die beidseitig eine dieser fehlerhaften Prothesenmodelle implantiert bekommen hatten.

Einige Verfahren im Rahmen der Produkthaftung wurden von der Firma Zimmer in den USA bereits befriedigt. Zimmer rechnet jedoch laut Geschäftsbericht mit weiteren Verfahren, für welche Rückstellungen bilanziert werden. Zimmer geht davon aus, die meisten der Forderungen in den USA im Laufe der nächsten drei Jahre finanziell abgegolten zu haben.

Geschäftsbericht (Stand 31.12.2009), vor allem Punkt „17. COMMITMENTS AND CONTINGENCIES“ auf  S. 62ff im Geschäftsbericht und S. 90 im online Dokument.

Der klagende Patient

Hohe Hürden vor Gericht

Die Entscheidung von betroffenen Patientinnen und Patienten, bei einem fehlerhaften Medizinprodukt wie der Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese der Firma Zimmer gerichtlich gegen den Hersteller vorzugehen, ist nicht einfach. Zum einen leidet der Patient unter den gesundheitlichen Folgen, die durch das fehlerhafte Produkt verursacht wurden. Zum anderen ist seine Position vor Gericht stark benachteiligt gegenüber dem Hersteller. Er muss gegen einen (Welt-)konzern antreten, der über erhebliche finanzielle Ressourcen und nahezu unbegrenzte Manpower verfügt.

Beweislastumkehr gefordert

In Deutschland muss der Patient dem Hersteller die Fehlerhaftigkeit des Produkts beweisen. Er muss das Gericht davon überzeugen,

a) dass das implantierte Medizinprodukt fehlerhaft ist;

b) dass die gesundheitlichen Folgen durch die Fehlerhaftigkeit des Produkts verursacht wurden;

c) dass ein kausaler Zusammenhang besteht zwischen gesundheitlichen Schäden und Medizinprodukt besteht.

Beweisführung erschwert

Dabei hat der klagende Patient kaum Rechte, an die für den Nachweis der Fehlerhaftigkeit des Medizinproduktes erforderlichen Unterlagen zu kommen. Der Hersteller verweigert in der Regel selbst die Herausgabe der bei der Benannten Stelle zur Erlangung des CE-Kennzeichens eingereichten Unterlagen, von den Konstruktions-, Test- und sonstigen Unterlagen ganz zu schweigen. Unabhängige Gutachter, die zur Untersuchung der Hüftprothese herangezogen werden können, sind in Deutschlad rar gesät. Bei der fehlerhaften Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese von Zimmer soll der Hersteller alle in Deutschland tätigen Gutachter zu einem mehrtägigen Symposium in die Zentrale eingeladen haben, um mögliche Ursache für das gehäuft aufgetretene Versagen des Prothesenmodells zu diskutieren. Einen von diesen mussten Kläger gegen Zimmer dann in ihrem Verfahren beauftragen, da das Landgericht keine Gutachter aus dem angelsächsischen Raum zuließ mit der Begründung, dies würde durch erforderliche Übersetzungen den Prozess unnötig verzögern. Nach mehr als 10 Jahren hat das Landgericht Freiburg die ersten Urteile vorgelegt. Eine mögliche Verzögerung durch englisch-sprachige Gutachter hätte wohl nicht entscheidend zur überlangen Verfahrensdauer beigetragen. Und ein Ende der Verfahren ist nicht in Sicht, da die Beklagte, die Firma Zimmer, den Instanzenweg offensichtlich exzessiv auszuschöpfen gedenkt.

Keine Sammelklagen in Deutschland

Jeder Patient ist selbst für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen zuständig. Sammelklagen sind in Deutschland nicht möglich. Die als Verein organisierte Selbsthilfegruppe kann keine Rechtsberatung leisten. Erfahrungen können jedoch zwischen Vereinsmitgliedern und Verein ausgetauscht werden.

Weiterführende Informationen:
Gesetze

Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz (pdf)) aus dem BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).

Verjährungsfristen

Produkthaftungsgesetz
§ 12 Verjährung
(1) Der Anspruch nach § 1 verjährt in drei Jahren von dem Zeitpunkt an….mehr

Geprüft werden sollte auf jeden Fall, wann beim einzelnen die Verjährungsfrist zu laufen beginnt. Im Gesetz heißt es, dass die Verjährung drei Jahre zum Ende des Jahres, in welchem man von der Fehlhaftigkeit des Produkts Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Die Frage ist, ob es zur Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Medizinprodukts ausreicht, dass das Krankenhaus alle betroffene Patienten zu einer Nachuntersuchung auffordert. Man könnte argumentieren, dass die Fehlerhaftigkeit erst dann feststeht, wenn der Hersteller die Fehlerhaftigkeit eingeräumt oder sie gerichtlich mit rechtskräftigem Urteil festgestellt wurde.

Bürgerliches Gesetzbuch
BGB § 195 Regelmäßige Verjährungsfrist
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre….mehr

Skript zur Patienteninformationsveranstaltung von den RA Berst und Liebold

In den Jahren 2004 bis 2008 wurden im Loretto-Krankenhaus in Freiburg über 800 Patienten mit einer sogenannten….mehr

Information RA Dr. Burkhardt

Am 07.12.2009 fand im Loretto-Krankenhaus Freiburg eine Informationsveranstaltung unter reger Beteiligung….mehr

Tipp:

Wir empfehlen, Rat bei einem Fachanwalt für Medizinrecht einzuholen. Eine Liste der Fachanwälte für Medizinrecht ist bei den jeweils zuständigen Rechtsanwaltskammern erhältlich.

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