Die neue Medical Device Regulation
Die neue Medical Device Regulation (MDR), mit der die EU mehr Sicherheit vor fehlerhaften Medizinprodukten erreichen wollte, ist ein Flop.
Das meint Dr. Werner Bartens in seinem Video-Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 26.10.2012. Er befasst sich mit der MDR, welche das Zulassungsverfahren von Medizinprodukten in Europa neu regeln soll.
Nach den Skandalen um Brustimplantate und Hüftprothesen sollte das Zulassungsverfahren für mehr Sicherheit bei Medizinprodukten sorgen. Doch Dr. Bartens bezeichnet im Video der SZ das Verfahren als ein „Scheinverfahren“. Denn ein Nutzen für die Patienten oder medizinischer Fortschritt muss immer noch nicht belegt werden. Nach seiner Auffassung haben sich die Medizingeräte und Medizinproduktehersteller wieder auf Kosten der Patienten durchgesetzt. Bartens spricht von „reiner Symbolpolitik auf Kosten der Patienten“. Er findet es skandalös, dass sich auch weiterhin die Hersteller um die Zulassung ihrer Produkte kümmern müssen und die Prüfer beauftragen und bezahlen. Er fordert eine staatliche Stelle, die unabhängig nicht nur die technische Funktionsweise eines Medizinprodukts prüft, sondern auch seine Sicherheit für Patienten.
Aus der Hüfte
In früheren Beiträgen berichtete Dr. Bartens immer wieder über die skandalöse Zulassungspraxis bei Medizinprodukten in Europa. Unter der Überschrift „Aus der Hüfte“ berichtet Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung vom 26.10.2012 auf der Titelseite über zwei Redakteure des Fachblatts „British Medical Journal“ (BMJ) und des „Daily Telegraph“. Die Fachjournalisten hatten die Marktzulassung für ein nicht existierendes Hüftprothesenmodell bei 14 verschiedenen „Benannten Stellen“ beantragt. Und erhalten, obwohl aus den Unterlagen klar ersichtlich war, dass die Prothese gesundheitsgefährdenden Metallabrieb produziert.
Mit fingierten Unterlagen die Zulassung erhalten
Mit ihren fingierten Unterlagen, die sie von Prothesenmodellen übernommen hatten, die wegen Fehlerhaftigkeit bereits hatten vom Markt genommen werden müssen, waren sie bei den Benannten Stellen erfolgreich. Keine stellte fest, dass das Modell hoch-giftige Metallionen absondert und nicht auf den Markt und in Patienten kommen darf. Neben dem Metallabrieb hatten die Journalisten als zusätzlichen Fehler eingebaut, dass das Prothesenmodell wegen fehlerhafter Konstruktion mit großer Wahrscheinlichkeit nach kurzer Standzeit im Patienten brechen würde. Verwendet haben sie in den beschreibenden Textpassagen Satzbausteine aus Beschreibungen früherer Prothesenmodellen, die wegen Sicherheitsmängeln und hohen Versagensraten bereits vom Markt genommen worden waren. Dennoch erhielten die Reporter von den „Benannten Stellen“ in ganz Europa das für die Zulassung ihrer Hüftprothese notwendige CE-Siegel. Damit hätte das fingierte Prothesenmodell in Patienten implantiert werden können.
Wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Prüfer und Geprüftem
Die „Benannten Stellen“, welche die Prüfverfahren für Medizinprodukte in ihren Labors durchführen und nach Prüfung die CE-Kennzeichnung vergeben, sind privatwirtschaftlich organisierte Institutionen mit Gewinnerzielungsabsicht. Um Gewinne zu erzielen benötigen sie möglichst viele und lukrative Aufträge der Hersteller von Medizinprodukten. Verbraucherschützer in Berlin wie Ilona Köster-Steinebach vom Bundesverband Verbraucherzentrale bemängeln schon seit langem, dass
„Die Stellen, die das zertifizieren, (…) private Wirtschaftsunternehmen (sind), die einen Gewinn daraus ziehen, möglichst viele Kunden zu haben. Und möglichst viele Kunden hat man, wenn man nicht besonders genau prüft.“
Die Hersteller von Medizinprodukten sind als Auftraggeber somit in einer vorteilhaften Position. Die „Benannten Stellen“ sind abhängig von den Aufträgen der Medizinproduktehersteller, von denen sie bezahlt werden. Der Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert Tomas Zavisek von der tschechischen Zertifizierungsstelle ITC, der sagt, sie seien
„auf der Seite der Hersteller und ihrer Produkte, nicht auf Seiten der Patienten.“
Warum sollten die „Benannten Stellen“ auch auf Seiten der Patienten sein? Von denen erhalten sie ja weder Aufträge noch Geld!
Unabhängige Prüfung gefordert
Seit langem wird gefordert, die Zulassungsverfahren von Medizinprodukten unabhängigen Institutionen zu übertragen. Doch das zuständige Bundesgesundheitsministerium von FDP-Minister Bahr sieht keinen Handlungsbedarf. Offensichlich fehlt hier eine Patienten-Lobby, die in der Lage wäre, den Medizinprodukteherstellern Paroli zu bieten. Ein offensichtlicher Systemfehler, der nur durch politische Entscheidungen behoben werden kann. Doch wenn alle davon profitieren, außer den Patienten, wer hat dann Interesse an einer Änderung?
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